In 1.000 Worten …

Freie Software ist die Verknüpfung von Technik mit einer bestimmten Weltanschauung. Stellt euch zwei Bäcker vor, die beide richtig gutes Brot backen. Aber der eine teilt sein Rezept, während der Andere das Seine im Leben nicht hergeben würde.

Veröffentlicht am 04.02.2019

Freie Software Wissensgesellschaft

Kann Software frei sein?

Leitgedanke: Was sind „Freiheit“ und „Nicht-Freiheit“ in der Technikwelt – und was kann das für gesellschaftliche Konsequenzen haben? Kann man die komplexen Systeme, die weite Teile unseres Alltags bestimmen, verstehen und überprüfen?

Mit der Software ist es so, wie mit eigentlich allem auf der Welt. Manches muss man kaufen, Manches darf man einfach so benutzen. Vergleichen wir das mal mit einem leckeren Nahrungsmittel. Brot. Stellt euch zwei Bäcker vor, die beide sehr gutes Brot backen und verkaufen. Von beiden schmeckt euch das Brot richtig gut. Aber die beiden Bäcker haben eine ganz unterschiedliche Philosophie. Dem einen ist sein Rezept ein heiliges Geheimnis. Er verrät es niemandem und so kann auch niemand sein Brot nachbacken. Wenn er einmal stirbt, wird er es mit ins Grab nehmen. Aus meiner Sicht ist das schade, denn das Brot ist wirklich gut, aber wenn der Gute das Zeitliche segnet, kann niemand mehr davon kosten. Der andere Bäcker findet das auch schade, deswegen macht er es ganz anders. Jedes Brot, das er verkauft, packt er in eine Tüte. Und auf die Tüte schreibt er das Rezept drauf. Er teilt sein Wissen. Damit andere das Brot auch backen können, damit die Menschen erkennen und verstehen können, warum das Brot eigentlich so gut ist. Wenn er das Zeitliche segnet, kann sein Brot die Nationalspeise werden, denn auch Andere können es backen. In seinem Brot steckt ein Stück Freiheit. Die Freiheit, das Brot backen zu dürfen, die Freiheit, das Rezept abzuändern, die Freiheit, zu untersuchen, was das Brot zu einem leckeren Brot macht. Ich habe gerade beschlossen, dass ich sein Brot „frei“ nenne.

Aber zurück vom Brot zur Software. Auch Software kann „frei“ sein. Und das habe ich mir keineswegs gerade ausgedacht. Freie Software ist eine Philosophie, eine Weltanschauung, mit der einige Software-Entwickler*innen ihre Produkte und ihr Wissen betrachten. Ein sehr wichtiger Vordenker dieser Philosohpie ist Richard Stallman, der 1985 mit der Free Software Foundation auch einen gewissen institutionellen Rahmen dafür geschaffen hat.

Freie Software ist also die Idee, dass man seine Rezepte nicht für sich behält, sondern dass man sie mit Anderen teilt. Dass Andere verstehen können, wie die Software funktioniert, was sie zu einer guten Software macht. Und dass Andere, wenn sie das Rezept abändern wollen, die Gelegenheit dazu haben. Vielleicht möchte man eher kosmetische Änderungen machen: die Software in einer anderen Farbe haben, das Brot als rundlichen Laib backen statt als längliches Baguette, denn das Auge isst mit. Vielleicht möchte man tiefer greifende Änderungen machen, ein anderes Getreide oder andere Gewürze verwenden, oder die Software auf ein anderes Speicherformat umstellen. Bei dem Geheimniskrämer-Bäcker geht das alles nicht, aber bei dem teilenden Bäcker und bei den Entwickler*innen freier Software liegt es nicht nur im Ermessen der Ersterfinder*innen, sondern auch derjenigen, die gewillt sind, auszuprobieren. Weil man Wissen teilt, und sich gegenseitig Freiheit gewährt. Die Freiheit, zu verstehen und auszuprobieren.

Das geht noch (ein Bisschen) konkreter

Die ersten ca. 450 Wörter sind geschrieben und nicht ein einziges Mal ist das Wort Quellcode gefallen. Quellcode ist für Software das, was für das Brot ein Rezept ist. Die Erklärung, wie es funktioniert. Und die besteht aus ganz viel Text. Der Text ist aber nicht auf Deutsch oder Englisch verfasst, sondern in einer Programmiersprache wie C, Java oder Python. Das ist so, weil er stark genug formalisiert sein muss, damit eine Maschine (Laptop, Smartphone, Server im Rechenzentrum, …) auch etwas damit anzufangen weiß. Diese Formalisierung hat leider auch zur Folge, dass nur Spezialist*innen den Quellcode verstehen können. „Formalisiert“ hat hier übrigens nichts damit zu tun, wie Behörden die Leute oft zur Weißglut bringen, sondern damit, dass die Form des Quellcodes auf mathematisch-technische Weise genau festgelegt ist.

Das Spezialwissen ist aber auch schlicht deswegen nötig, weil Computer (und dazu zählt ein Smartphone genauso wie ein Laptop oder ein moderner Fernseher) äußerst komplexe Maschinen sind. Und die werden mit Software gesteuert, die wiederum äußerst komplex ist. Diese Komplexität gilt für einen Online-Shop (bei dem es sich um Software handelt) genauso wie für ein Schreibprogramm (wie Microsoft Word oder LibreOffice Writer), ein Betriebssystem (wie Android, Ubuntu oder Windows) oder eine industrielle Steueranlage. Damit möchte ich nicht behaupten, dass jede Software gleich komplex ist, aber dass jede Software komplex ist.

Das ist tatsächlich wichtig

Software ist auf eine Art unsichtbar, dringt aber auch empfindlich in unseren Alltag ein. Selbstfahrende Autos werden von Software gesteuert, in sozialen Netzwerken steuert Software, welche Inhalte von welchen Menschen wir sehen und welche nicht (Stichwort „Filterblase“), und Smartphones mit ihren vielen Apps sind längst eine ernsthafte Suchtkrankheit geworden. Falls die letzten beiden Beispiele ein wenig zu dystopisch klingen (sie sind aber Realität): Navigationssoftware erspart uns viele verfahrene Kilometer und schont damit Nerven und Umwelt; und Suchmaschinen ermöglichen es, Informationen unheimlich schnell zu finden (upps, taugen die beiden Beispiele als Positivbeispiele, wenn in beiden Bereichen eine große, bunte Firma mit “G” ein Monopol hält? Oder war es “A”? Egal, ich glaube, die wollen einfach das ganze Alphabet besetzen).

Nicht erst hier wird es politisch. Das Prinzip freie Software zu vertreten und zu verteidigen: Das ist von Anfang an eine Mischung aus technischer und politischer Auffassung. Es soll hier aber nicht so sehr darum gehen, was Monopolbildung für die Gesellschaft bedeutet, sondern darum, welcher gesellschaftliche Wert in freier Software direkt steckt.

Fakt ist: Computer und ihre Software haben sich in den letzten Jahrzenten enorm ausgebreitet und spielen eine kaum zu überschätzende Rolle im Alltag. Und je mehr der menschliche Alltag von software-gesteuerten Maschinen bestimmt wird, desto wichtiger wird es, dass die Funktionsweise dieser Maschinen kein Buch mit sieben Siegeln ist. Denn wenn eine Navigationssoftware oder ein Betriebssystem als freie Software entwickelt werden, geht es – genau wie dem Bäcker – eben nicht nur um die bloße Veröffentlichung von Quellcode und Rezept („Open Source“). Es geht darum, aktiv Wissen zur Verfügung zu stellen, aktiv zu ermutigen, das Produkt zu verstehen und zu verändern. Damit letztlich das Wissen wächst und alle Mitglieder der Gesellschaft, nicht nur die Techniker*innen, sich ein besseres Bild davon machen können, wie das Navigationssystem zu seinem Routenvorschlag kommt. Oder wieso zwei Leute bei einer Suche im Netz trotz gleicher Suchbegriffe unterschiedliche Werbeangebote und unterschiedliche Schlagzeilen angezeigt bekommen. Trotz, nein, gerade wegen aller Komplexität.

Freie Software ist gesamtgesellschaftlich. Techniker*innen entwickeln sie, alle können sie benutzen. So oder so unterstützt man damit einen bestimmten Gedanken. Einen Wert.

1.000 Worte

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